Scham und Leidenschaft

Von Victor Chu und Brigitta de las Heras

Tredition-Verlag 2014

ISBN 978-3-8495-9438-1 (Paperback)

ISBN 978-3-8495-9439-8 (Hardcover)

ISBN 978-3-8495-9440-4 (e-Book)

Scham ist doppelgesichtig. Zwar kann sie zum stärksten Hindernis für unsere Entwicklung werden, wenn sie uns überwältigt und unseren Kontakt zu uns selbst und zu anderen Menschen unterbricht.


Scham schützt jedoch auch unseren innersten Wesenskern. Sie ist „Hüterin der Unschuld“ – gerade für Menschen, die in ihrer Kindheit tief verwundet worden sind. Ihre Scham schützt sie vor der Erinnerung an früher erfahrene Verletzungen. Und sie schützt den innersten Kern der Person, darin bewahrt sie den letzten Rest ihrer Würde und Integrität auf wie in einer unsichtbaren Hülle. Wer dieser letzten Schamhülle beraubt wird, wäre wirklich „scham-los“, er hätte sein Selbst ganz verloren.


Scham ist ein universelles Gefühl. Jeder Mensch weiß, wie es sich anfühlt, wenn er sich schämt. Jedes Kind in jeder Kultur kennt es. Aber: Man spricht nicht darüber. Denn Scham ist eines der unangenehmsten Gefühle überhaupt, für manche unerträglicher als Schmerz, Wut oder Trauer. Und vieles, was wir täglich tun, dient dazu, uns vor unserer eigenen Scham zu schützen, sie unsichtbar zu machen: Wir sollen sie nicht merken. Und wenn wir doch einmal von unserer Scham überrascht werden, wissen die meisten von uns, sie gut zu maskieren, damit mindestens die Menschen um uns herum nicht merken, dass wir uns schämen.


Was geschieht aber, wenn es doch jemand merkt? Eine weitere Eigentümlichkeit wird hier deutlich: Dieser schaut in der Regel weg? Es scheint uns fast genauso peinlich zu sein, Zeuge der Scham einer anderen Person zu werden. Scham ist ein für beide Interaktionspartner peinlicher Vorgang.


Dies mag ein Grund dafür sein, weshalb es selbst in vielen Psychotherapien eine Seltenheit ist, dass sich der Klient in seiner innersten Scham dem Therapeuten oder der Therapeutin offenbart. Umgekehrt scheint es selbst für erfahrene, gut ausgebildete TherapeutInnen peinlich zu sein, Zeuge tiefster Beschämung vonseiten ihrer Gegenüber, den KlientInnen, zu werden. Denn dieser Vorgang würde sie an ihre eigenen Schamerlebnisse erinnern. Die Scheu der TherapeutIn vor der eigenen Scham spiegelt sich in der Angst der KlientIn vor deren Scham. So steht Scham ihrer eigenen Heilung im Wege.


Deshalb ist es ein weiteres Ziel dieses Buches, uns mit unseren eigenen Erfahrungen von Scham wieder vertraut zu machen, um dadurch auch Zugang zur Scham unserer Mitmenschen zu finden. In der Scham liegt nämlich das Wertvollste eines Menschen verborgen, sein innerster Kern. Wenn wir uns in unseren nahen Beziehungen zu unserem Partner, unseren Eltern und Kindern, unseren Geschwistern und FreundInnen übermäßig schämen, laufen wir Gefahr, das Wesentliche im Kontakt mit diesen Menschen zu verpassen, da wir uns nicht zeigen, wie wir im Innern sind.


Wenn es uns jedoch gelingt, Menschen, die uns nahe stehen, zu vertrauen und unsere inneren Scham-Barrieren zu überwinden, können wir erleben, wie beglückend und erleichternd es ist, uns einander gegenseitig in unseren schambesetzten Seiten anzuvertrauen

 

Victor Chu
Dr. med. Dipl. Psych.
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